Discussion:
Bewerbungsgespräch Alkoholsucht
(zu alt für eine Antwort)
Bernd Kohlhaas
2007-07-22 05:45:08 UTC
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Hallo,

ich arbeite u.a. in einer Fachklinik für Suchtkranke;
dort wurde ich von einer Patientin gefragt, wo sie im Internet Infos
finden kann.
Meine eigenen Recherchen mit Google haben mir eine große Fülle Infos
gebracht, die wohl eines zeigen: Die Rechtsprechung/Meinung zum o.a.
Thema ist nicht eindeutig und offenbar stark vom Einzelfall geprägt.
Die Frage, ob Offenheit bei einer Bewerbung taktisch besser oder
schlechter sei, soll hier nicht unbedingt das Thema sein, und dies
mögen die Therapeuten mit ihren Patienten klären.

Aus meiner Sicht tun sich - rechtlich gesehen - folgende Gebiete auf

1) erlaubte Fragen
2) verbotene Fragen
3) Offenbarungspflicht (der Bewerber muss auch ungefragt gewisse Dinge
offenbaren)
4) Recht zur Lüge

Ich bitte um Klarstellung meiner Sichtweise:

a) Für *Alkoholsucht* gibt es eine Offenbarungspflicht nur in
bestimmten Tätigkeitsbereichen, z.B. Berufskraftfahrer, Chirurg etc.
Gibt es dafür irgendwo eine Liste?
b) *Alkoholsucht* gehört zu den erlaubten Fragen und muss dann - wenn
eine entspr. Frage gestellt wird - wahrheitsgemäß beantwortet werden.

Hierzu gibt es aber sehr unterschiedliche Interpretationen.
Zitat http://www.echt-online.de/service/geheimnisse.htm:
*Bei akuten Krankheiten müssen Sie ehrlich antworten, wenn sie Ihre
Eignung für die Krankheit einschränken - zum Beispiel schwere oder
chronische Erkrankungen, die Einfluss auf die Arbeitsleistung haben.
Das gilt auch für Ansteckungsgefahr oder bevorstehende Operationen und
Kuren (Bundesarbeitsgericht, Az: 2 AZR 270/83). Bei Krankheiten, die
Ihre Einsatzmöglichkeiten nicht beeinträchtigen, dürfen Sie hingegen
schummeln. Das gilt auch für Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sowie
psychiatrische Behandlungen. *

Ist ein momentan trockener Alkoholkranker - arbeitsrechtlich gesehen -
noch akut krank?
Wie kann er/sie überhaupt beurteilen, ob die Krankheit Einfluss auf die
Arbeitsleistung oder Einsatzmöglichkeiten haben kann. Hier fehlt mir
noch ein wichtiges Wort: Arbeitssicherheit.
--
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Kohlhaas
email: bernd punkt kohlhaas at t-online punkt de
Alexander Goetzenstein
2007-07-22 06:35:58 UTC
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Hallo,
Post by Bernd Kohlhaas
Wie kann er/sie überhaupt beurteilen, ob die Krankheit Einfluss auf die
Arbeitsleistung oder Einsatzmöglichkeiten haben kann. Hier fehlt mir
noch ein wichtiges Wort: Arbeitssicherheit.
Die Sucht an sich beeinträchtigt die Arbeitssicherheit i.d.R. noch
nicht; Gefahren bestehen erst dann, wenn der Arbeitende betrunken ist.
Dies betrifft dann vor allem gewerbliche Berufe in Handwerk, Industrie,
Logistik usw., natürlich auch Labore, also überall dort, wo mit Dingen
hantiert wird, die schwerer und/oder potentiell gefährlicher sind als
ein Kugelschreiber oder eine Computermaus, sowie planerische
Tätigkeiten, die mittelbar gefährden können (mehr fällt mir im Moment
nicht ein). Die Beeinträchtigung der Arbeitsqualität durch
Alkoholeinfluss betrifft so gut wie alle Tätigkeiten, ob beruflich oder
nicht. Für trockene Alkoholiker sehe ich vor allem Eigengefährdungen,
bspw. bei der Arbeit hinter der Bartheke oder in der Brauerei.

Bei alledem erwarte ich nicht, dass es dafür gesetzlicher Regelungen
bedarf; eine Beurteilung des Einzelfalles sollte leichtfallen.
--
Gruss
Alex
Matthias Frank
2007-07-22 10:50:31 UTC
Permalink
Post by Bernd Kohlhaas
Ist ein momentan trockener Alkoholkranker - arbeitsrechtlich gesehen -
noch akut krank?
Ich meine da geht es halt schon los was ist momentan? ISt er trocken
seit 4 Wochen oder 10 Jahren? Tja, nicht das das was sagt aber letztlich
bleibt dir immer nur die Einzelfallbewertung und da muss dann auch
der Therapeut sagen (wenn er das kann) das Rückfallrisiko ist X%.
Oder man kann das halt nicht sagen.
Post by Bernd Kohlhaas
Wie kann er/sie überhaupt beurteilen, ob die Krankheit Einfluss auf die
Arbeitsleistung oder Einsatzmöglichkeiten haben kann.
Letztlich nach bestem Wissen und Gewissen evtl. mit Absprache des
Therapeuten, z.b. bzgl. Rückfallrisiko usw.
Post by Bernd Kohlhaas
Hier fehlt mir
noch ein wichtiges Wort: Arbeitssicherheit.
Ja wobei wenn jemand alkoholisiert auf der Arbeit erscheinen würde
oder während der Arbeit Alkohol trinkt sollte das eigentlich
Kollegen, Vorgesetzen, AG auffallen und dann sollten die was
sagen, evtl. auch erstmal dem Betriebsrat, bevor es zum Chef geht.

Sicher alles nicht so einfach, aber Kochrezepte gibt es da nicht.

MfG
Matthias
Mark Riemann
2007-07-23 05:59:29 UTC
Permalink
Hallo,
Post by Bernd Kohlhaas
a) Für *Alkoholsucht* gibt es eine Offenbarungspflicht nur in
bestimmten Tätigkeitsbereichen, z.B. Berufskraftfahrer, Chirurg etc.
Gibt es dafür irgendwo eine Liste?
Vorweg: Nein, ich weiß nicht, ob es ein solche Liste gibt.

Offenbarungspflicht:
Nein, das glaube ich nicht. Wenn ich davon ausgehe, dass Alkoholsucht
heilbar ist, warum sollte dann ein trockener [1] anders behandelt
werden, als ein normaler AN? Wäre es dann nicht schon eine Diskriminierung?
Post by Bernd Kohlhaas
b) *Alkoholsucht* gehört zu den erlaubten Fragen und muss dann - wenn
eine entspr. Frage gestellt wird - wahrheitsgemäß beantwortet werden.
Jein, sicher gibt es Fälle, welche ja meine Vorposter schon angesprochen
haben (Hint: Kellner, Barman, etc.), wo es kritisch ist. Aber ich glaube
ein erfolgreich trockener würde sich auf solche Stellen auch nicht
freiwillig bewerben.

Und noch eins: Alkoholsucht wird AFAIK als Krankheit angesehen! Und
Fragen zur Gesundheit müssen nicht in jedem Fall zulässig sein. Wie
gesagt, ich glaube es nicht.
Post by Bernd Kohlhaas
... Bei Krankheiten, die
Ihre Einsatzmöglichkeiten nicht beeinträchtigen, dürfen Sie hingegen
schummeln. Das gilt auch für Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sowie
psychiatrische Behandlungen. *
Das sagt doch alles.
Post by Bernd Kohlhaas
Ist ein momentan trockener Alkoholkranker - arbeitsrechtlich gesehen -
noch akut krank?
Wie kann er/sie überhaupt beurteilen, ob die Krankheit Einfluss auf die
Arbeitsleistung oder Einsatzmöglichkeiten haben kann. Hier fehlt mir
noch ein wichtiges Wort: Arbeitssicherheit.
Wenn man einen ehemaligen Alkoholsüchtigen behandelt wie jeden anderen
normalen AN auch, gelten für ihn dieselben Regeln zur Arbeitssicherheit.
Bloß, dass er mal ein Alkoholsüchtiger war ist kein Verstoß gegen die
Regeln der AS. Es darf eben nur nicht wieder auftreten.


[1] Hier fehlt schon eine genaue Definition seitens des Gesetzgebers.
Ist jemand, der seit 20 Jahren trocken ist noch Alkoholiker? Kann man
ihn dann nicht so behandeln, wie alle anderen auch?
--
O.g. Mailadresse existiert zwar, wird aber nicht gelesen. Um mir eine
Mail zu schreiben, ersetze bitte das "news" durch "Mark". Vielen Dank.
Jens Müller
2007-07-23 07:20:24 UTC
Permalink
Post by Bernd Kohlhaas
Hallo,
Post by Bernd Kohlhaas
a) Für *Alkoholsucht* gibt es eine Offenbarungspflicht nur in
bestimmten Tätigkeitsbereichen, z.B. Berufskraftfahrer, Chirurg etc.
Gibt es dafür irgendwo eine Liste?
Vorweg: Nein, ich weiß nicht, ob es ein solche Liste gibt.
Nein, das glaube ich nicht. Wenn ich davon ausgehe, dass Alkoholsucht
heilbar ist, warum sollte dann ein trockener [1] anders behandelt
werden, als ein normaler AN? Wäre es dann nicht schon eine Diskriminierung?
...
Post by Bernd Kohlhaas
[1] Hier fehlt schon eine genaue Definition seitens des Gesetzgebers.
Ist jemand, der seit 20 Jahren trocken ist noch Alkoholiker? Kann man
ihn dann nicht so behandeln, wie alle anderen auch?
Warum sollte der Gesetzgeber etwas definieren, woran er keine direkten
Rechtsfolgen knüpft?
Bernd Kohlhaas
2007-07-23 16:11:59 UTC
Permalink
Hallo,

diese Diskussion spiegelt die verschiedenen kontroversen Fundstellen im
Internet wider, vor allem, ob die Frage nach der Alkoholsucht eine
*verbotene Frage* ist und damit auch unwahr beantwortet werden darf.
Wahrscheinlich ist die Rechtsprechung ähnlich und stark
auf den Einzelfall bezogen.

Und ist die allgemeine Frage nach irgendwelchen Krankheiten bei einem
*gerade eben* trockenen Alkoholkranken ein Problem?

In meiner Fragestellung habe ich einen Punkt vielleicht nicht klar
genug herausgestellt:
Bei der Fragestellerin ging es um eine Patientin in einer Suchtklinik,
also gerade mal eben trocken geworden...

Ein großes Problem haben diese Leute auf jeden Fall:
Bedingungslose Offenheit führt angesichts der Lage auf dem derzeitigen
Arbeitsmarkt mit fast absoluter Sicherheit dazu, nie mehr einen
Arbeitsplatz zu bekommen.
--
Bernd Kohlhaas
***@gmx.de
Matthias Frank
2007-07-23 16:55:54 UTC
Permalink
Post by Bernd Kohlhaas
Bedingungslose Offenheit führt angesichts der Lage auf dem derzeitigen
Arbeitsmarkt mit fast absoluter Sicherheit dazu, nie mehr einen
Arbeitsplatz zu bekommen.
Woraus sich dann letztlich auch der einzige Schluss ziehen
lässt: Man lässt es darauf ankommen und hofft wenn es
doch mal rauskommt, dass man den AG so von seiner
Leistung überzeugt hat, dass es ihm dann auch egal ist.

Ein zusätzliches Problem hat man dabei allerdings auch
noch, nämlich eine Lücke im Lebenslauf während der
man in der Klinik war z.b. .

MfG
Matthias
Bernd Kohlhaas
2007-07-24 05:30:06 UTC
Permalink
Hallo,

"Matthias Frank" schrieb
Post by Matthias Frank
Ein zusätzliches Problem hat man dabei allerdings auch
noch, nämlich eine Lücke im Lebenslauf während der
man in der Klinik war z.b. .
Nö, in der Regel nicht, denke ich:
Von ..... bis ...... Arbeit suchend
--
Bernd Kohlhaas
***@gmx.de
Matthias Frank
2007-07-24 10:21:24 UTC
Permalink
Post by Bernd Kohlhaas
Hallo,
"Matthias Frank" schrieb
Post by Matthias Frank
Ein zusätzliches Problem hat man dabei allerdings auch
noch, nämlich eine Lücke im Lebenslauf während der
man in der Klinik war z.b. .
Von ..... bis ...... Arbeit suchend
Wa im Grunde wieder eine Lüge ist.

MfG
Matthias
Mark Riemann
2007-07-24 10:34:25 UTC
Permalink
Hallo,
Post by Matthias Frank
Wa im Grunde wieder eine Lüge ist.
Ja, was aber üblich ist solange Personaler und Chefs nicht akzeptieren
wollen, dass eine Zeit der Nichtbeschäftigung nicht unbedingt etwas
Schlechtes sein muss.
--
O.g. Mailadresse existiert zwar, wird aber nicht gelesen. Um mir eine
Mail zu schreiben, ersetze bitte das "news" durch "Mark". Vielen Dank.
Mark Riemann
2007-07-23 06:00:26 UTC
Permalink
Hallo,
Post by Bernd Kohlhaas
a) Für *Alkoholsucht* gibt es eine Offenbarungspflicht nur in
bestimmten Tätigkeitsbereichen, z.B. Berufskraftfahrer, Chirurg etc.
Gibt es dafür irgendwo eine Liste?
Vorweg: Nein, ich weiß nicht, ob es ein solche Liste gibt.

Offenbarungspflicht:
Nein, das glaube ich nicht. Wenn ich davon ausgehe, dass Alkoholsucht
heilbar ist, warum sollte dann ein trockener [1] anders behandelt
werden, als ein normaler AN? Wäre es dann nicht schon eine Diskriminierung?
Post by Bernd Kohlhaas
b) *Alkoholsucht* gehört zu den erlaubten Fragen und muss dann - wenn
eine entspr. Frage gestellt wird - wahrheitsgemäß beantwortet werden.
Jein, sicher gibt es Fälle, welche ja meine Vorposter schon angesprochen
haben (Hint: Kellner, Barman, etc.), wo es kritisch ist. Aber ich glaube
ein erfolgreich trockener würde sich auf solche Stellen auch nicht
freiwillig bewerben.

Und noch eins: Alkoholsucht wird AFAIK als Krankheit angesehen! Und
Fragen zur Gesundheit müssen nicht in jedem Fall zulässig sein. Wie
gesagt, ich glaube es nicht.
Post by Bernd Kohlhaas
... Bei Krankheiten, die
Ihre Einsatzmöglichkeiten nicht beeinträchtigen, dürfen Sie hingegen
schummeln. Das gilt auch für Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sowie
psychiatrische Behandlungen. *
Das sagt doch alles.
Post by Bernd Kohlhaas
Ist ein momentan trockener Alkoholkranker - arbeitsrechtlich gesehen -
noch akut krank?
Wie kann er/sie überhaupt beurteilen, ob die Krankheit Einfluss auf die
Arbeitsleistung oder Einsatzmöglichkeiten haben kann. Hier fehlt mir
noch ein wichtiges Wort: Arbeitssicherheit.
Wenn man einen ehemaligen Alkoholsüchtigen behandelt wie jeden anderen
normalen AN auch, gelten für ihn dieselben Regeln zur Arbeitssicherheit.
Bloß, dass er mal ein Alkoholsüchtiger war ist kein Verstoß gegen die
Regeln der AS. Es darf eben nur nicht wieder auftreten.


[1] Hier fehlt schon eine genaue Definition seitens des Gesetzgebers.
Ist jemand, der seit 20 Jahren trocken ist noch Alkoholiker? Kann man
ihn dann nicht so behandeln, wie alle anderen auch?
--
O.g. Mailadresse existiert zwar, wird aber nicht gelesen. Um mir eine
Mail zu schreiben, ersetze bitte das "news" durch "Mark". Vielen Dank.
Leif Saxx
2007-07-23 07:26:15 UTC
Permalink
Post by Mark Riemann
Nein, das glaube ich nicht. Wenn ich davon ausgehe, dass Alkoholsucht
heilbar ist, warum sollte dann ein trockener [1] anders behandelt
werden, als ein normaler AN? Wäre es dann nicht schon eine Diskriminierung?
Alkoholsucht ist _nicht_ heilbar. Ein Alki wird immer ein Süchtiger
bleiben, es ist lediglich möglich ihn "trocken" zu bekommen, d.h. er
trinkt zumindest vorübergehend nicht mehr. Kommt er aber je wieder mit
Alkohol in Berührung hängt er wieder an der Flasche. Und da liegt eben
die Gefahr, es ist völlig unvorhersehbar ob und wann ein Alki wieder
mit dem Saufen anfängt, was nicht nur dessen eigene Gesundheit und den
Geldbeutel des Arbeitgebers gefährdet sondern eben auch die Kollegen
gefährden kann. (Arbeitssicherheit)

Mir als Arbeitnehmer wäre es nur Recht wenn mein Boss Kollegen von denen
derartige Gefahren ausgehen ausfiltert.
Mark Riemann
2007-07-23 09:59:29 UTC
Permalink
Hallo,
Post by Leif Saxx
Mir als Arbeitnehmer wäre es nur Recht wenn mein Boss Kollegen von denen
derartige Gefahren ausgehen ausfiltert.
Ich kann Dich zwar teilweise verstehen. Nur ist die Frage, darf man
einem ehemals Alkoholsüchtigen, der nun schon seit mehreren Jahren
bewiesen hat, dass er nicht nur momentan trocken ist, sondern auch
trocken bleibt, die zweite Chance verwehren?

Ich meine NEIN. Selbst einem Michel Friedmann gab man eine zweite
Chance, die er anderen nicht gab.


[1] http://service.spiegel.de/digas/find?DID=27923884
--
O.g. Mailadresse existiert zwar, wird aber nicht gelesen. Um mir eine
Mail zu schreiben, ersetze bitte das "news" durch "Mark". Vielen Dank.
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